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Rund um den Canyon Lake

Green − Am Sonntag ist Lulu soweit genesen, dass sie einer Weiterfahrt zustimmt. Auf Umwegen (wir haben uns trotz der neuen Strassenkarten verfahren) gelangen wir nach Gruene in der Nähe von New Braunfels. Gruene’s Geschichte beginnt 1872, als der deutsche Farmer Heinrich Gruene nördlich von New Braunfels 24 km² Land erwarb. 1878 eröffnete Heinrich Gruene ein Geschäft, welches dank seiner Lage an der Postkutschen-Route von Austin nach San Antonio florierte. Mit dem Handel wuchs auch die Bevölkerungszahl. 1878 wurde die Gruene Hall und bald darauf eine Schule eröffnet. Etwa zur gleichen Zeit wurde die Stadt offiziell nach ihrem Gründer benannt. Um 1900 war Gruene ein Zentrum für den Anbau und die Verarbeitung von Baumwolle. In den zwanziger Jahren begann sich das Blatt gegen Gruene zu wenden. Zuerst kämpfte es gegen einen hartnäckigen Käfer, der die Baumwollfelder befallen hatte und zu Ernteeinbussen führte. Danach folgte die Weltwirtschaftskrise, die mit dem amerikanischen Börsencrash am 24. Oktober 1929 (Schwarzer Donnerstag) begann und die 1930er Jahre dominierte. 1950 war Gruene zu einer Geisterstadt verkommen.

 

Qualitätssiegel Jack − Anfang der 1970er Jahre erlebte Gruene eine Wiedergeburt. Die alten Gebäude wurden restauriert und das schmucke Städtchen ist heute bei Touristen und Sonntagsausflüglern äusserst beliebt. Das Herzstück des Ortes bilden die historische Dance Hall und der Wasserturm. In der Dance Hall finden auch heute noch regelmässig Konzerte statt. Unter anderem sind dort schon Willie Nelson und Jack Ingram auf der Bühne gestanden. Wer sich nun fragt, wer Jack Ingram ist, kann sich trösten... wir haben ihn auch nicht gekannt. Da aber Lulu fast alles kauft, auf dem Jack steht (ausser Jack Daniels), landete seine CD irgendwann in unserem Einkaufskorb. Und der Name Jack bürgt einmal mehr für gute Qualität ;-) Sowohl Markus als auch Lulu sind vom Country Album begeistert. Und als wir hören, dass Jack in der Einleitung erwähnt, dass diese CD live in der Gruene Dance Hall aufgenommen wurde, gefällt sie uns gleich noch einen Tick besser.

 

Gastfreundschaft − In Gruene haben wir uns mit Vaida und Neal verabredet. Ihre Kontaktadresse haben wir von Chris und Jodi, die mit den beiden befreundet sind, erhalten. Zusammen unternehmen wir einen kurzen Spaziergang an den Guadalupe River, welcher sich etwas unterhalb des Ortes befindet. Hier sehen wir zum ersten Mal Bäume, die mit spanischem Moos bewachsen sind. Wie graue Bärte hängt das spanische Moos an den Ästen. Von den Südstaaten der USA bis nach Südamerika findet man es überall dort, wo es genügend warm und feucht ist.

Unten am Fluss treffen sich bei Bubba’s Big Deck die Biker. Der Parkplatz ist gefüllt mit speziellen Harley Davidson’s und ihren nicht minder speziellen Fahrern.

Neal und Vaida laden uns zum Essen im Grist Mill Restaurant neben der Dance Hall ein. Danach fahren wir zu Neal und Vaida’s Haus am Canyon Lake. Dazu nehmen wir nicht den direkten Weg, sondern eine kurvige Strasse entlang des Guadalupe Rivers. Beim Damm des Canyon Lakes machen wir einen Zwischenhalt und schauen uns das Bauwerk an. Der Damm wurde zwischen 1958 und 1964 als Wasserspeicher und zum Schutz vor Überflutungen gebaut. Zuvor wurde das Gebiet um den unteren Guadalupe River regelmässig überflutet, da dieser Bereich weniger Wasser aufnehmen konnte als der obere Teil mit den hohen Canyons.

Im Juli 2002 regnete es in der Region des Canyon Lakes in einer Woche soviel wie sonst während des ganzen Jahres. In der Folge lief der See trotz Damm über und zerstörte die Zugangsstrasse zum Damm und mehr als 800 Häuser. Das Wasser schuf aber auch eine landschaftlich reizvolle, Schlucht, die heute für Touristen zugänglich ist.

Trotz der Überflutung von 2002 gilt der Canyon Dam als Erfolg. Man hat ausgerechnet, dass durch den Damm bis jetzt Schäden in der Höhe von 24 Millionen Dollar verhindert werden konnten. Der durch den Damm enstandene See ist heute ein beliebtes Erholungsgebiet für Wassersportler und Naturliebhaber.

Neal und Vaida wohnen in einem Haus am See. Als das angrenzende Haus frei wurde, schlugen sie nochmals zu und erwarben ein zweites Haus. Dieses wollen sie nun als Gästehaus herrichten. Hinter den beiden Häusern hat es eine grosse Rasenfläche und über einen schmalen Naturpfad und ein paar Stufen erreicht man die kleine, private Kieselsteinbucht.

Neal und Vaida zeigen uns beide Häuser und wir dürfen anschliessend wählen, wo wir lieber wohnen möchten. Obwohl ein Haus für uns alleine verlockend tönt, entscheiden wir uns für das kleine aber feine Gästezimmer im Haupthaus. Wir geniessen es jeweils sehr, die verschiedenen Lebensstile unserer Gastgeber hautnah miterleben und teilen zu dürfen.

 

Bambi und Polly − Das Quartier am Canyon Lake teilen sich die Bewohner mit vielen Rehen. Da einige von Neal’s und Vaida’s Nachbarn die Tiere mit Gemüse- und Obstabfällen füttern, sind sie recht zahm. Die Tiere tummeln sich in den bewaldeten Flächen zwischen den Häuern und lassen sich in kleinen Gruppen in den Vorgärten nieder. In den nächsten zwei Tagen sammelt Vaida extra ein paar Obstabfälle, damit wir sie für ein paar gute Fotos den Rehen verfüttern können. Obwohl wir gegen die Fütterung wilder Tiere sind, machen wir mit und kommen so tatsächlich ganz nah an die Tiere mit den grossen Augen und Ohren heran.

Vaida und Neal haben auch ein richtiges Haustier. Die Hundedame Polly ist eine echte Beautyqueen. Alle paar Wochen verpasst ihr die Hundecoiffeuse eine neue Frisur. Wenn wir mit ihr durchs Quartier spazieren, geben wir darum acht, dass sie sich ihr makelloses, weisses Fell nicht zu sehr verschmutzt. Das ist gar nicht so einfach, da Polly für die «Geschäfte» anderer Hunde immer ein besonderes Interesse zeigt :-).

 

Widersprüchlich − Den Abend verbringen wir zusammen mit Neal und Vaida in ihrem Wohnzimmer. Sie können uns viele Tipps zur Umgebung aber auch zum Süden der USA geben. Nach dem Wirbelsturm Katrina vom letzten August und den negativen Presseberichten im Anschluss an die Naturkatastrophe, in denen die Rede von Plünderungen, Überfällen und Gewalt die Rede war, haben wir uns lange überlegt, wo wir die USA auf dem Rückweg an die Ostküste queren sollen. Nach diversen Gesprächen mit verschiedenen Leute, wollen wir nun an unserer Route durch den Süden festhalten. Vaida und Neal bestärken uns in unserem Vorhaben. Sie zeigen uns Fotos von Orten, die sie bereits besucht haben, nennen uns Sehenswürdigkeiten entlang der Strecke und können uns zu praktisch allen Ortschaften Restaurantempfehlungen abgeben :-) Damit wir uns die Informationen merken können, schreibt uns Vaida alles auf. Interessant ist, dass sich ihre Empfehlungen meist nicht mit jenen von Tom und Alicia aus Rodeo, New Mexico decken. Was uns Tom und Alicia als absolut authentischen Geheimtipp anpriesen, ist für Neal und Vaida nichts weiter als eine Touristenfalle und umgekehrt. Wir sind gespannt, wie wir diese Orte erleben werden.

 

Deutsch geprägt − Alle zusammen rufen wir Chris und Jodi an und tauschen Neuigkeiten aus. Es ist schön die beiden zu hören. Es ist nun ziemlich genau einen Monat her, seit wir ihr Haus in der Nähe von Cortez, Colorado, verlassen haben.

Am nächsten Tag unternehmen Markus und Lulu mit Nanuq einen Ausflug nach New Braunfels. Neal und Vaida bleiben zu Hause und arbeiten am Gästehaus. Sie sind gerade daran beschäftigt ein paar Wände zu streichen.

New Braunfels ist wie viele andere Orte im texanischen Hill Country deutschen Ursprungs. Dies geht auf den Mainzer Adelsverein (Kurzname für den Verein zum Schutze deutscher Einwanderer in Texas) zurück, durch dessen Vermittlung zwischen 1844 und 1847 über 7000 Deutsche nach Texas auswanderten. In den 1840er Jahren herrschte in weiten Teilen Europas Armut und Hunger. Kein Wunder zogen die Leute aus, um ihr Glück in Amerika, dem Land der unbegrenzten Möglichkeiten, zu suchen. Ziel des Mainzer Adelsvereins war es, die deutschen Auswanderer in einer Region zusammen zu halten. Dazu stellte man jeder ausreisewilligen Familie rund 130 Hektar Land in Aussicht. Weiter wurde die Versorgung mit Lebensmitteln bis zur ersten eigenen Ernte sowie die Errichtung von Kirchen, Schulen und ärztlichen Einrichtungen versprochen. Daneben hatte der Verein selbstverständlich materielle Ziele. Mit einer deutschen Kolonie in Texas sollten neue Absatzmärkte für die heimische Wirtschaft eröffnet werden. 1844 schickte der VereinCarl Prinz zu Solms-Braunfels nach Texas, um ein geeignetes Stück Land zu kaufen. Nachdem der Prinz im heutigen Hill Country nahe des Guadalupe Rivers fündig wurde, folgten schon bald die ersten deutschen Siedler. Der junge Prinz hatte jedoch inzwischen das ganze Geld des Vereins verprasst und zusätzlich Schulden angehäuft. Vergeblich warteten die Einwanderer auf die versprochenen 130 Hektaren Land.

Als Texas im Jahr 1845 in die Vereinigten Staaten von Amerika aufgenommen wurde, war der Traum von einer Kolonie «Neu-Deutschland» endgültig geplatzt. Trotzdem strömten durch die Vermittlung des Vereins weiterhin deutsche Einwanderer ins Land. Hier lebten sie oft unter ähnlich erbärmlichen Bedingungen wie zu Hause. Viele fielen Seuchen zum Opfer. Immerhin schaffte es Meusebach, der Nachfolger des gescheiterten Prinzen, die Situation zu stabilisieren. Nach New Braunfels wurde Fredericksburg gegründet. Meusebachs grösste Leistung ist allerdings der 1847 mit dem Indianerstamm der Comanchen ausgehandelte Friedensvertrag. Die Deutschen kauften Felle und Lebensmittel von den Indianern, während diese im Gegenzug von Plünderungen der deutschen Siedlungen absahen. Einzigartig an diesem Vertrag ist die Tatsache, dass er von beiden Seiten nie gebrochen wurde.

1848 musste die Aktiengesellschaft Mainzer Adelsverein ihre Zahlungsunfähigkeit erklären. Obwohl das «texanische Abenteuer» für den Verein in einem Fiasko endete, entwickelten sich die von ihnen gegründeten Siedlungen zu florierenden Städten. Die Gegend wurde für die ausgewanderten Deutschen also doch noch zu einer neuen Heimat.

In einem der Antiquitätenläden von New Braunfels finden wir deutsche Spuren, die uns überraschen. Hinter einer Glasvitrine sind Abzeichen, Schriften und weitere Objekte der Nationalsozialisten zum Verkauf ausgestellt. Bei uns oder in Deutschland wäre eine solche Verkaufsvitrine wohl unvorstellbar. Das deutsche Erbe in Form einer Bäckerei ist uns da schon viel sympathischer.

 

Alles paletti − Weiter besuchen wir in New Braunfels den Landa Park. Dieser beheimatet nebst ein paar speziellen Enten auch die Comal Springs, wo aus zwei kleinen Öffnungen im Fels Wasser an die Erdoberfläche sprudelt. Wäre da nicht die Infotafel, würden wir nie vermuten, vor der grössten Frischwasserquelle Texas’ zu stehen. Der Ausfluss von ca. 8000 Liter pro Sekunde ist wirklich beachtlich.

Zum Zmittag halten wir bei einer kleinen Bude am Strassenrand. Vaida und Neal haben uns gesagt, dass man hier beim «Granzin BBQ» das beste Barbecue der Stadt bekommt. Man kann zwischen Meat Plate 1, 2 oder 3 wählen, je nachdem wie viele verschiedene Fleischsorten man möchte. Zum geräucherten Fleisch gibt es grüne Bohnen und Kartoffelsalat. Wir lassen uns auf einer Bank neben der Bude nieder und lassen uns unser erstes texanisches BBQ schmecken.

Auf dem Rückweg schauen wir nochmals in Gruene vorbei. Im Gegensatz zum Sonntag sind heute fast keine Touristen unterwegs. Ungestört können wir fotografieren und die Souvenirläden durchstöbern. Den Weg zurück durch Neal und Vaida’s Quartier finden wir nur dank ihrem vorsorglich aufgezeichneten Plan. Die Strassen und Kreuzungen sehen alle gleich aus... und es hat jede Menge davon.

Den Abend verbringen wir erneut bei interessanten Gesprächen mit Neal und Vaida. Neal geniesst es, seine Deutschkenntnisse auszuprobieren und Vaida verwöhnt uns mit einem leckeren Salat, den jeder nach seinem eigenen Geschmack mit Artischocken, getrockneten Tomaten, Käse, Oliven etc. ergänzen kann.

 

Schiff ahoi − Nach einem deftigen Frühstück mit Wurst und French Toast nimmt uns Neal mit auf einen Bootsausflug auf dem Canyon Lake. Zuerst müssen wir jedoch sein Boot, welches er in einer Garage etwas ausserhalb des Quartiers lagert, abholen und zum See transportieren.

Anfangs schippern wir durch einen überfluteten Wald mit abgestorbenen Bäumen. Nur noch ihre kahlen, weissen Äste ragen aus dem Wasser. Auf ihnen sitzen ein paar Kormorane. Die schwarzen Vögel fliegen davon, sobald wir uns ihnen nähern.

 

Tarzan − Neal lenkt das Boot in einen Flussarm. Bald ist das Wasser so seicht, dass wir anlegen und zu Fuss weitergehen. An manchen Bäumen am Ufer sind mittels Holzleisten eine Art Leiter an den Stamm genagelt. Diese werden manchmal von Kindern benutzt, um anschliessend an einem Seil, welches an einem Ast befestigt ist, über den Fluss zu schaukeln.

Zurück im Boot übernimmt Markus Gaspedal und Steuer. Sicher steuert er das Boot durch den Unterwasserwald. Der See ist riesig und streckt seine Arme in alle Richtungen. Unter Neals kundiger Führung gelangen wir aber problemlos zu ihrer Privatbucht, wo wir erneut anlegen. Neal packt das Znüni aus und wir geniessen bei getrockneten Aprikosen, Animal Crackers und Getreideriegeln die Ruhe des Ortes.

Weiter fährt uns Neal zur Party Cove. Diese Bucht ist bekannt fürs Klippenspringen. Bei der Canyon Lake Marina betrachten wir die kleinen Fischerboote und Yachten, die hier angelegt sind. Nebst den Bootsplätzen bietet die Marina auch eine Bootsvermietung und eine Boottankstelle mit zwei Zapfsäulen an.

Neal ist ein unermüdlicher Reiseführer. Nachdem wir von unserer Bootsrundfahrt zurückkehrt sind, machen wir uns zu Fuss auf, um dass Quartier zu erkunden. Er zeigt uns verschiedene interessante Häuser und im Vorgarten eines Nachbarn macht er uns auf die versteinerten Fossilien aufmerksam, die man hier in der Gegend häufig findet.

 

State of the union address − Am Abend schauen wir im TV die Rede Bushs an die Nation. Natürlich entfacht sich dadurch eine Disskusion über die amerikanische Politik. Es ist immer wieder interessant die verschiedenen Standpunkte der Einheimischen zu erfahren. Dabei geniesst Bush längst nicht die Unterstützung aller Amerikaner.

 

Time to say goodbye − Am Mittwoch Morgen herrscht Aufbruchstimmung. Vaida hat einen Termin und verlässt das Haus relativ früh. Wir wollen weiter nach San Antonio und packen ebenfalls unsere Sachen zusammen. Nach einem letzten Spaziergang mit Polly fahren wir los.